Wahre Freundschaft!

Versprechen

Mitglieder im Network-Marketing (NM) & Multi-Level-Marketing (MLM) schwärmen oft vom starken Gemeinschaftsgefühl und den tiefen Freundschaften untereinander. Wer zum ersten Mal beim Wochentreffen erscheint, wird herzlich begrüßt und aufgenommen. Die Atmosphäre ist nett und ungezwungen und lädt zum Mitmachen ein. Wer als Mitglied aktiv wird, erlebt seine Upline als Zuhörer für Probleme und als Berater für alle Angelegenheiten, die den Geschäftsaufbau behindern könnten. Wer etwas länger dabei ist, baut viele und enge Kontakte mit anderen Mitgliedern auf und gewinnt wahre Freunde fürs Leben – so das Versprechen im NM & MLM.
Frühere Mitglieder berichten, dass die engen Bande abrupt endeten, als sie aus dem Unternehmen ausstiegen.

Wie passt das zusammen?

Fakten

Fakt ist, dass es in jedem Unternehmen Freundschaften geben kann. Die entscheidenden Fragen sind jedoch: Warum spielen Freundschaften eine so große Rolle in NM & MLM? Sind dies wirklich so großartige Freundschaften, wie gerne suggeriert wird? Dazu einige Fakten:

Warum spielen Freundschaften eine so große Rolle in NM & MLM?
  • Für NM & MLM gilt, dass Mitglieder nicht nur versuchen, durch den Verkauf von Produkten Geld zu verdienen (Hauptaufgabe im „klassischen DV“). Mitglieder versuchen auch, selbst weitere Mitglieder anzuwerben (zum besseren Verständnis siehe Kapitel „Grundlage 1“).
  • Fakt ist, dass Anwerber an ihrer Downline verdienen, denn die Provision der Upline (Begriffe siehe Kapitel „Grundlagen 1“) beruht i.d.R. auf dem Umsatz der eigenen Downline.
  • Fakt ist, dass die Upline ein großes Interesse daran hat, dass die Mitglieder ihrer Downline möglichst viel arbeiten und Produkte kaufen. Wer neu ins Unternehmen kommt wird i.d.R. herzlich aufgenommen und erhält die wohlwollende Aufmerksamkeit seiner Upline sowie weiterer Beteiligter.
  • Fakt ist jedoch auch, dass alle Mitglieder selbständig sind. Wer anwirbt, ist somit kein Chef im üblichen Sinne: Es gibt keine Weisungsbefugnis in DV, NM & MLM. Damit kann die Upline ihrer Downline nicht vorschreiben, wie viel, was oder wann sie arbeiten muss.
  • Da die Weisungsbefugnis fehlt, greifen NM & MLM Unternehmen stärker als „normale“ Unternehmen auf andere Mittel zurück, um Mitglieder zu motivieren. Dazu gehören große und kleine, regionale und (inter-)nationale Treffen mit Motivationsreden und -filmen; Schulungsunterlagen mit Beispielrechnungen, wie einfach und leicht Geld zu verdienen ist; Geschichten Erfolgreicher, die auf Seminaren sowie im Internet zum Besten gegeben werden und eine Unternehmenskultur, in der das Gemeinschaftsgefühl betont und die Vielzahl an Freundschaften zwischen Mitgliedern hervorgehoben wird.

Fazit: Freundschaften und eine gute Atmosphäre helfen, Unternehmensmitglieder zu besonderem Einsatz und Eifer zu motivieren: Zusammen mit Freunden legt man sich lieber ins Zeug als mit jemand Unsympathischem. Da Uplines in NM & MLM keinerlei Weisungsbefugnis haben, ist diese Motivationsform besonders verbreitet. Die Relevanz von Freundschaften als Motivationsmittel wird noch dadurch verstärkt, dass die Upline direkt am Umsatz ihrer Downline verdient. Ein gutes Band zu den eigenen Mitgliedern lohnt sich finanziell.

Handelt es sich wirklich um so großartige Freundschaften, wie gerne suggeriert wird?
  • Wie in jedem Unternehmen kann es auch in NM & MLM großartige Freundschaften geben.
  • In zahlreichen Berichten (siehe bspw. Kapitel „Informationen im Internet“) erläutern ehemalige Mitglieder, wie enttäuscht sie über ihre früheren „Freunde“ sind: Wer aus seinem MLM oder NM aussteigt, wird i.d.R. von den anderen Mitgliedern sozial fallengelassen. Als eng geglaubte Freundschaften enden abrupt und unabänderlich, wenn jemand das entsprechende Unternehmen verlässt. Nicht selten werden diejenigen, die gehen sogar als „Nestbeschmutzer“ und „Verräter“ gebrandmarkt.
  • Ehemalige Mitglieder berichten auch, dass sie über sich selbst enttäuscht sind: Sie hatten Menschen vertraut, die im Nachhinein betrachtet nur so lange Kontakt zu ihnen hielten, wie sie zu deren Gruppenumsatz beitrugen. Und sie bezeichneten auch selbst andere als Freunde, mit denen sie doch vor allem aus finanziellen Gründen Umgang pflegten. Wenn das finanzielle Interesse wegfällt, also nach dem Ende der Tätigkeit, bleibt hier vor allem ein schales Gefühl zurück: das Gefühl, ausgenutzt geworden zu sein und selbst das Gleiche getan zu haben.

Fazit: Erfahrungsberichte von bestehenden Mitgliedern zeigen, dass diese sich (sehr) zufrieden über die Freundschaften in ihrem Unternehmen äußern. Erfahrungsberichte von früheren Mitgliedern zeigen, dass Freundschaften enden, wenn der finanzielle Nutzen wegfällt. „Freundschaft“ im üblichen Sinne ist nicht an finanzielle Interessen gebunden. Da die Upline an ihrer Downline mitverdient, gibt es in NM & MLM jedoch immer ein finanzielles Interesse von der Upline an ihrer Downline.

Empfehlungen

Für Interessierte & Mitglieder:
  • Lassen Sie sich nichts vormachen: Ihre Upline möchte an Ihnen verdienen. Das ist der Grund, warum sie Sie angesprochen haben und Sie anwerben wollen. O.k., wenn Sie komplett unsympathisch wären, wären Sie vielleicht nicht gefragt worden. Ob aus dieser Beziehung eine Freundschaft entsteht, wird sich mit der Zeit zeigen. Ob es sich dabei um bessere Freundschaften als außerhalb des Unternehmens handelt, wird sich vor allem zeigen, wenn Sie wieder aufhören.
  • Machen Sie anderen nichts vor: Finden Sie Ihr Geschäft, Ihre Tätigkeit und Ihr Produkt nur gut genug, wenn es mit Freundschaft einhergeht? Wenn Sie von Ihrem Unternehmen und Ihrer Tätigkeit überzeugt sind, können Sie dafür auch werben, ohne gleich Freunde sein zu wollen. Es reicht aus, wenn Sie gute Geschäftspartner sind. Der Rest wird sich zeigen.
  • Mitgliedschaft als Maßstab für Freundschaft? Viele NM & MLM Mitglieder scheinen zu meinen, dass ihre „wahren“ Freunde auch Mitglieder in ihrem Unternehmen werden sollten. Nur das zeige Freundschaft. Wer nicht mitmache, sei kein „echter Freund“. Überdenken Sie diese Haltung, damit es Ihnen nicht so ergeht wie vielen anderen vor Ihnen: Frühere Mitglieder berichten, dass sie am Anfang ihrer Tätigkeit „Feuer und Flamme“ waren. In ihrem Übereifer haben sie ihre früheren Freunde „vergrault“. Nach dem Ende der Tätigkeit standen sie dann ohne soziale Kontakte da. Zudem sollten Sie nicht vergessen, dass die Rede von „wahrer Freundschaft“ im NM & MLM der Motivation von Mitgliedern dient und dazu beiträgt, das finanzielle Interesse der Upline an der Downline schönzufärben.

Für seriöse Unternehmen:
  • Sektenvorwurf? – Die Unternehmenskultur ist Teil der Unternehmensstrategie: Manchen Unternehmen wird Ähnlichkeit mit Sekten vorgeworfen. Das kann nicht im Sinne eines Unternehmens sein. Die Möglichkeit, diesen Ruf zu ändern, liegt beim Management selbst: Es kann seine Informationspolitik (interne Veröffentlichung von Erfolgszahlen, durchschnittlichen Umsätzen etc.) ändern, um übertriebenen Versprechen von Mitgliedern entgegenzuwirken. Zudem kann das Management die Unternehmenskultur ändern. Unternehmen, denen diese Vorwürfe nicht gemacht werden, machen vor, wie es geht.

Für politische Entscheidungsträger:
  • Finanzielle Transparenz entzieht materielle Grundlage für ideologischen Überbau: Wie oben erläutert gilt auch hier, dass Ideologie und „Bekehrungsversuche“ nur schwerlich mit Gesetzen entgegengewirkt werden kann. Gibt es jedoch durch unternehmensintern veröffentlichte Zahlen Transparenz zur finanziellen Seite der Tätigkeit, wird übertriebenen Versprechen eine wichtige Grundlage entzogen.
  • Beschwerdestelle macht Probleme sichtbar und zwingt Unternehmen, ihre Unternehmenskultur anzupassen: Eine unabhängige Beschwerdestelle könnte helfen, Fehlverhalten öffentlich zu machen und schon dadurch zu sanktionieren. Gleichzeitig hätte eine Beschwerdestelle präventive Wirkung: Wenn das Risiko besteht, dass extreme Versprechen öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, wird ihre Anzahl zurückgehen.