Reichtum für alle!

Versprechen

Buchtitel wie „Geldmaschine Strukturvertrieb“[1] oder „Multi-Level-Geldmaschine“[2] suggerieren die Chance auf unbegrenzten Reichtum. Und da es vor allem in großen Unternehmen Mitglieder gibt, die durch ihre Tätigkeit Wohlstand erlangt haben, wird gerne betont, dass jedes Mitglied das Gleiche erreichen könne.

Was sagen die Fakten?

Fakten

  • Direktvertriebe (DV), Network-Marketing (NM) & Multi-Level-Marketing (MLM) haben – ebenso wie „klassische“ große Unternehmen – eine pyramidenähnliche Struktur: oben stehen wenige, unten viele Mitglieder. Und wie so oft gilt: Diejenigen, die oben stehen, verdienen wesentlich mehr als diejenigen, die unten stehen.
  • Wichtig ist jedoch die folgende Unterscheidung: Der Reichtum mancher Mitglieder bestätigt die Möglichkeit, viel Geld verdienen zu können. Dies ist aber etwas völlig anderes als die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich (viel) Geld zu verdienen. Auch wenn gerne damit geworben wird, dass jeder erfolgreich werden könne, so gilt für DV, NM & MLM das Gleiche wie für andere Unternehmen: Theoretisch ist es möglich, in den Vorstand eines Unternehmens zu kommen, z.B. bei der Deutschen Bank, Merceds Benz oder VW. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gering: Erstens hat nicht jeder die Fähigkeit dazu und zweitens hat der Vorstand wesentlich weniger Mitglieder als das gesamte Unternehmen.
  • Es gibt eine Fülle von Schätzungen und Berechnungen (siehe Kapitel „Literatur im Internet“). Zur Veranschaulichung wird hier kurz eine Beispielrechnung für das Unternehmen Amway wiedergegeben. Die genauen Rechenschritte finden sich in den entsprechenden Quellen: Ein sogenannter „Diamant“ kann laut offiziellen Dokumenten 17.000-18.000 Euro brutto im Monat verdienen. Angesichts der tatsächlichen durchschnittlichen Monatsumsätze müsste er dafür rund 4.500 Mitglieder unter sich in der Downline haben (Was ist eine Downline? – siehe Kapitel „Grundlage 1“). Das heißt im Umkehrschluss, dass angesichts bestehender Durchschnittsumsätze nur 1 Mitglied von 4.500 diese Stufe erreicht. Das sind nur 0,02% aller Mitglieder.
  • Bruttoeinnahmen von 2.000-2.800 Euro/Monat werden laut Schätzung in Amway von ca. 0,5-1,0% der Mitglieder(paare) erreicht.
  • Brutto heißt: Die Kosten für Fahrten, Seminare, Eintritte, Werbung, Akquise, Büro, Schulungsmaterialien, Vorführprodukte usw. müssen davon noch abgezogen werden. Ebenso wie Steuern und die eigene Absicherung (da von Unternehmensseite aus keine Sozialversicherung bezahlt wird).
  • Fakt ist, dass es in manchen Unternehmen relativ viele Erfolgreiche zu geben scheint. Dieser Schein kann trügen. So wurde während der Erhebung zu Amway folgendes deutlich: Mitglieder werden mit der höchsten von ihnen je erreichten Leistungsstufe bezeichnet. Wer jemals die Stufe „Diamant“ erreicht hat, gilt unter Mitgliedern als „Diamant“. Es ist jedoch nicht sichtbar, wie viel Gruppenumsatz diese Person aktuell generiert und ob sie auch tatsächlich noch das Einkommen eines „Diamanten“ erhält. Wer einmal „Diamant“ war, bleibt „Diamant“ – auch hat er dieses Niveau finanziell gesehen zum letzten Mal vor 10 Jahren erreicht. Dies erschwert es Mitgliedern einzuschätzen, wie viele Menschen nun tatsächlich, aktuell und dauerhaft hohe Einkünfte erzielen.
  • Noch ein weiterer Punkt macht es schwierig, die tatsächlichen Einkünfte von Mitgliedern einzuschätzen: Nur veröffentlichungspflichtige Unternehmen müssen einen Jahresabschluss vorlegen (z.B. GmbHs). Auf www.ebundesanzeiger.de lässt sich sehen, auf welche Unternehmen dies zutrifft (siehe Kapitel „Wo gibt es Finanzdaten?). Für Unternehmen ohne Veröffentlichungspflicht sind präzise Daten Mangelware.

Fazit: In DV, NM & MLM gibt es die Möglichkeit, hohe Einkünfte zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit davon ist jedoch ungefähr so groß bzw. klein, wie in den Vorstand eines Großunternehmens zu gelangen. Die hohen Einkünfte einiger weniger Mitglieder basieren auf den Einkäufen der vielen Mitglieder, die viel weniger, wenig oder auch gar nichts verdienen. Zudem geben frühere Mitglieder an, dass sie sogar mehr für Schulungen, Seminare, Motivationsmaterialien und Fahrtkosten ausgegeben als sie eingenommen haben.


Empfehlungen


Für Interessierte & Mitglieder:
  • Selbst rechnen: Unternehmen wollen sich verkaufen und Ihre (zukünftige) Upline möchte an Ihren Leistungen und Ihren Einkäufen beim Unternehmen verdienen. Deswegen können Sie selbst Informationen suchen und so die Aussagen Ihrer Upline ergänzen (Was ist eine Upline? – siehe Kapitel „Grundlage 1“). Wie oben im Kapitel „Wachstumsbranche“ erläutert, bietet bspw. der Pro-Kopf-Umsatz eine Einschätzung, was andere im Unternehmen erreichen und wie leicht es ist, Produkte zu verkaufen. Und wenn Ihr Unternehmen veröffentlichungspflichtig ist, können Sie unter www.ebundesanzeiger.de den Jahresabschluss einsehen. Dadurch können Sie sich ein eigenes Bild von der Finanzlage machen (siehe Kapitel „Wo gibt es Finanzdaten?“).
  • Eigene Buchführung – und zwar ehrlich: Sie wollen erfolgreich werden? Schreiben Sie täglich auf, wie viel Zeit Sie für Ihr Geschäft aufwenden, wie viel Geld Sie ausgeben und wie hoch Ihre Einnahmen sind (siehe auch Kapitel „Beispielrechnungen“). Sie meinen, dass diese Rechnung am Anfang zu sehr frustriert und Ihr Geschäft erst einmal Zeit zum Wachstum benötigt? Stimmt! Gönnen Sie sich die Zeit, die Sie für relevant halten, aber seien Sie ehrlich zu sich in Bezug auf Kosten, Aufwand und Einkommen. Eine korrekte Buchführung ist eine gute Grundlage für Ihr Geschäft.
  • Hinschauen beim wöchentlichen Treffen: Erzählt Ihnen Ihre Upline, dass Anwerben einfach ist? Schauen Sie hin beim wöchentlichen Treffen: Wie viele der Anwesenden sind in der Lage, neue Mitglieder zu werben? Nur ein Fünftel? Nur jeder Zehnte? Dies gibt ein realistisches Bild davon, wie einfach oder schwierig der Aufbau einer eigenen Downline ist.
  • Hinschauen beim Anwerber: Wird Ihnen erzählt, dass hier jeder erfolgreich sein kann, der sich richtig anstrengt? Ist Ihre Upline erfolgreich und reich? Wenn ja, woher kommt ihr Wohlstand? Aus Interviews und Berichten von früheren Mitgliedern wird deutlich: Begeisterte Mitglieder stellen gerne ihren Besitz zur Schau, um für die Tätigkeit zu werben. Doch bestehender Wohlstand (großes Haus & dickes Auto) kann durch den Hauptberuf, durch Ehepartner, Erbe oder auf Pump finanziert sein. Ihre Upline ist (noch) nicht erfolgreich? Natürlich fängt jeder mal klein an. Aber spätestens, wenn Ihre Upline mehr als zwei Jahre dabei ist und trotzdem kein nennenswertes Einkommen generiert, sollten sich die Fragezeichen mehren. Sie meinen, dass Sie besser sind als Ihre Upline? Auch gut. Halten Sie Buch und kontrollieren Sie regelmäßig, ob Sie mit Ihrem Erfolg zufrieden sind.
  • Hinschauen bei den Leistungsstufen: Werden Leistungsstufen auch wieder aberkannt vom Unternehmen? Lassen Sie sich nicht blenden von „Erfolgreichen“, die zurzeit des Berliner Mauerfalls und der Expansion nach Osteuropa erfolgreich wurden, aber heutzutage kaum rekrutieren und auch ansonsten wenig aktiv scheinen. Wer bspw. bei Tupperware Deutschland über einen längeren Zeitraum nicht den nötigen Umsatz als Gruppenberaterin erreicht, bekommt diesen Status aberkannt. Das schmerzt das Mitglied, gibt jedoch die Wirklichkeit korrekt wieder. So wird vermieden, dass die Anzahl der Erfolgreichen künstlich aufgebläht wird und Erfolg viel einfacher erscheint als er tatsächlich ist.
  • Hinschauen bei Informationen vom Unternehmen I: Veröffentlicht das Unternehmen Zahlen, aus denen Sie einschätzen können, wie viel tatsächlich verdient wird? Lassen Sie sich nicht blenden durch Modellrechnungen, bei denen von monatlich 400 Euro Eigenbedarf ausgegangen wird, während der tatsächliche Monatsumsatz pro Mitglied ein Bruchteil davon ist (siehe oben die Empfehlung „Selbst rechnen“).
  • Hinschauen bei Informationen vom Unternehmen II: Wenn Ihr Unternehmen intern veröffentlicht, welche Mitglieder erfolgreich sind, können Sie selbst besser einschätzen, wie hoch Ihre Einkommenschancen sind. Ein gutes Beispiel hierfür ist Mary Kay Cosmetics. In der internen Monatszeitung wird veröffentlicht, welche Direktorinnen im Vormonat mehr als 3.000 bzw. 4.000 Euro/Monat Provision erhalten haben. Daraus lässt sich ableiten, wie viele dieses Niveau geschafft haben und wer diejenigen sind, die es geschafft haben. Genauso können Sie ableiten, wie viele Direktorinnen dies nicht erreicht haben. Solche Informationen sind wertvoll: Sie erlauben Ihnen eine bessere Einschätzung dessen, was ein Unternehmen seinen Mitgliedern zu bieten hat.

Für seriöse Unternehmen:
  • Erfolgszahlen intern veröffentlichen: Seriöse Unternehmen machen es vor: Sie veröffentlichen unternehmensintern Zahlen, aus denen Mitglieder ablesen können, welche Erfolgschancen es tatsächlich gibt, z.B. wie groß der Anteil erfolgreicher Mitglieder ist.
  • Aberkennen von Leistungsstufen bei fehlender Leistung: Seriöse Unternehmen machen es vor: Leistungsstufen werden nicht nur verliehen, sondern auch sichtbar aberkannt, d.h. es ist unternehmensintern bekannt, wer erfolgreich ist und auch, wer nicht mehr erfolgreich ist.

Für politische Entscheidungsträger:
  • Daten zur Branche = Möglichkeit, Bedeutung der Branche für Arbeitsmarkt und Sozialsysteme einzuschätzen: Mehr Selbständigkeit erscheint eine gute Lösung für Arbeitsmarktprobleme. Doch handelt es sich hier überhaupt um eine nachhaltige Form der Selbständigkeit? Bzw. für welchen Anteil der Mitglieder ist diese Form der Selbständigkeit wirklich eine Alternative zum ersten Arbeitsmarkt? Denn wenn die Tätigkeit vor allem finanziell attraktiv ist, weil Mitglieder die Kosten für ihre Selbständigkeit steuerlich absetzen können oder als Selbständige zusätzliche Transferleistungen erhalten, stellt sich die Frage, ob dies gesellschaftlich wünschenswert ist. Ohne Daten zur Branche, sind solche Fragen schlicht nicht zu beantworten.
  • Verpflichtung, unternehmensintern Erfolgszahlen zu veröffentlichen: Es wäre ein enormer Fortschritt, wenn DV, NM & MLM verpflichtet wären, Erfolgszahlen, Durchschnittsumsätze, Anteil Erfolgreicher auf bestimmten Leistungsstufen o.ä. intern zu veröffentlichen.
  • Kontrolle von Richtlinien und Vorschriften: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Veröffentlichte Zahlen müssen für Mitglieder auch tatsächlich zugänglich sein, z.B. in der monatlichen Mitgliederzeitung und nicht am Schwarzen Brett der Kantine in der Unternehmenszentrale. Deswegen muss auch eine unabhängige Instanz geschaffen werden, die Richtlinien kontrolliert und Verstöße sanktioniert.


[1] Thust, Wolfgang 1997. Geldmaschine Strukturvertrieb. Idee – Aufbau - Coaching - Erfolg. Mecklenbrauck Verlag.
 
[2] Gage, Randy 2010. Wie baue ich eine Multi-Level-Geldmaschine? Die Wissenschaft des Network Marketing. Innsbruck: Life Success Media GmbH.